Braucht die digitale Wirtschaft eine neue Führungskultur?

#NewWork17: Was die Millennials von New Work, Macht, Führung und Karrierewegen halten

Dieser Beitrag nimmt an der Blogparade #NewWork17 von Winfried Felser teil. Denn, wie auch schon in meinem Beitrag über Recruiting gesagt: Wenn die Unternehmen Millennial-Talente gewinnen und halten wollen, dann sollten sie Millennials fragen und wir ihnen sagen, wie das gelingt. Das gilt gleichermaßen für New Work.

Sicher brauchen vor allem die jungen High Potentials Rahmenbedingungen, die auf Selbstbestimmung basieren, um Arbeit zu tun, die wir für bedeutungsvoll halten. Dazu werden in Fit für die Next Economy viele Aspekte beleuchtet. In diesem Beitrag möchte ich mich auf Macht, auf Führung und auf neue Karrierewege konzentrieren.

Macht macht die Old Economy unproduktiv

70 Prozent ihrer Arbeitszeit verbringen Manager mit dem Absichern von Macht, meint der Schweizer Serial Entrepreneur Jonathan Möller. “Das Hauptproblem in der Old-Economy ist Macht”, sagt ein Bekannter, der in einem Dax-Konzern arbeitet. Fast alles, was uns Millennials am “Old Way” frustriert, sind aus unserer Sicht Symptome der Macht. Der unverkennbare Machtanspruch erfolgreicher Manager schafft Distanz, wo Kollaboration angebracht wäre.

Informationen werden in solcher Umgebung bei der Elite gehortet – anstatt sie zu teilen – um die Machtposition rechtfertigen und schützen zu können. Zu strategischen Runden werden grundsätzlich nur die älteren Manager eingeladen. In der „Welt der grauen Männer“ bleibt man lieber unter sich. Die Führungskräfte haben wohl Angst, die „Jungen“ könnten ihnen die hart erarbeitete Position streitig machen. Ihnen kommt gar nicht in den Sinn, dass es den Digital Natives vorrangig ums Gestalten geht – und nicht um Macht.

Eine gute Bekannte, Melissa, arbeitet seit zwei Jahren bei einer französischen Bank im Human Resources Bereich. Immer schon steht sie für eine Kultur der Öffnung. Das bringt sie in eine Zwickmühle. Sie möchte sich nicht in einem anonymen Firmenapparat verlieren. Sie wünscht sich Geltung, Mitbestimmung und Fortschritt. „Obwohl ich wegen meines speziellen Profils eingestellt wurde, wird am Ende von mir erwartet, dass ich mich verstelle und damit den Fortschritt blockiere”, beklagt Melissa.

Bei strategischen Treffen kommen in dieser Bank nur diejenigen zusammen, die die passenden Titel haben, aber nicht die mit der meisten Expertise. Die haben gar keinen Zutritt. Zurzeit plant Melissa einen Workshop zum Thema “wertebasierte Führung”. Das Tragische ist, dass junge Mitarbeiter, die die Company mit frischen Gedanken und neuen Ideen inspirieren und in die Zukunft tragen könnten, bei diesem Workshop nicht erwünscht sind.

Führung ja, sogar mehr, aber anders als früher

Die Führungskraft als Ansager und Aufpasser hat in der Millennial-Welt keinen Platz. Zudem können die Oberen heutzutage nicht einmal ahnen, wohin der richtige Weg führt. „Ihre neue Aufgabe ist es, das Finden von Antworten zu organisieren“, schreibt Christoph Keese in seinem Buch Silicon Germany. Zudem sollte die Führung allen Bürokratie-Ballast beseitigen, der ein produktives Arbeiten behindert.

Institutionalisierte Autorität wird von Millennials sofort hinterfragt. Insignien der Macht sind für uns im Allgemeinen von wenig Belang. Wertvoll ist nicht der, der einen dicken Dienstwagen fährt, sondern derjenige, der die Community durch seine Impulse bereichert. Der Beitrag zählt, nicht das Lametta am Anzug oder das Schild an der Tür.

Für uns ist eine Führungskraft ein Unterstützer und Möglichmacher. Hier ein Beispiel dazu, eine wahre Begebenheit aus meinem Umfeld: Johannes, Chef einer Softwarefirma, steht gegen 14 Uhr von seinem Schreibtisch auf, geht zur Kaffeemaschine und trägt eine Tasse frisch gebrühten Kaffee herüber zu Sven. Während er den Kaffee behutsam neben Svens Tastatur platziert, fragt Johannes, ob er noch etwas braucht.

Sven schaut flüchtig von seinem Bildschirm auf und erwidert verlegen, dass er heute Abend ein Date habe, aber sein Hemd vorher noch zur Reinigung müsse. Bevor Sven den Satz zu Ende sprechen kann, hat sich Johannes den Kleiderbeutel geschnappt und ist schon auf dem Weg zur Tür.

Sven schreibt die Software für Johannes’ Firma. Sven und Johannes arbeiten auf Augenhöhe, aber wenn jemand den anderen hofiert, dann ist es Johannes. Er, der Chef, hat verstanden, dass jede Rolle im Unternehmen primär eine Funktion ist, auch die des CEO. Er weiß, dass es sich besser arbeiten lässt, wenn der Arbeitsplatz frei von Problemen ist und Leistung anerkannt wird. „Ich würde ihm auch mein Auto geben, wenn er danach fragt“, sagt Johannes. “Denn Sven macht uns hier alle erfolgreich.”

Wie New Work in jungen Unternehmen gelebt wird

Vor einiger Zeit war ich Business Developer bei der digitalen Agentur Antiloop in Barcelona. Für das Team hatte David, der Gründer, einen ganzen Abschnitt in einem renommierten Coworking-Space gemietet, und wir hatten ihn mit weichem Kunstrasen und automatischen Stehtischen ausgestattet. Gemeinsame Mittagessen, flexible Arbeitszeiten und regelmäßige Aktivitäten mit dem Team sind bei Antiloop gang und gäbe. David weiß, dass sich diese Maßnahmen sehr positiv auf den Zusammenhalt, die Mitarbeitermotivation und die Arbeitsergebnisse auswirken.

Eines Tages kam David zu mir und bat mich um eine außergewöhnliche Recherche. Er hatte die Idee, für das gesamte Team eine viermonatige Workation (work + vacation) zu organisieren. Das ist eine Mischung aus Arbeit und Urlaub. In unserem Fall bedeutete das konkret, ein achtköpfiges Team nach Lateinamerika zu fliegen, dort ein Haus zu mieten und in unserem Winter von dort aus unsere Arbeitsprojekte zu machen.

Klar, alles bezahlt von der Firma. Die Motivation im Team war dementsprechend hoch. Nach einigem Suchen und intensiver Abstimmung mit allen legten wir uns auf Brasilien fest. Schon kurz darauf planten wir unsere Abreise. Was soll ich sagen: Alle hatten eine wunderbare Zeit. Die Arbeit ging prächtig voran, und die Kunden waren von den Ergebnissen hocherfreut.

Natürlich ist dieses Beispiel nicht auf jedes Team eins zu eins übertragbar. Es zeigt aber deutlich, was möglich und für manche Chefs schon selbstverständlich ist. David hatte nie etwas von Management oder Führung gelernt, denn er ist ein eher introvertierter Programmierer. Stattdessen nutzt David seinen gesunden Menschenverstand, um die Welt für seine Mitmenschen besser zu machen.

Für Millennials attraktiv: Kletterwand statt Karriereleiter

Eine Bezahlung oder Beförderung rein nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses oder dem Lebensalter ist für uns Millennials nicht nachvollziehbar. Unsere Generation wünscht sich, nach Leistung gemessen, vergütet und befördert zu werden. Damit stellt sich auch gleich die Frage nach dem nächsten Karriereschritt. Natürlich wollen auch Millennials Karriere machen, nur anders. Wir wollen viele Karrieren, nicht eine.

Wir sehen Karriere weniger als Leiter, sondern eher als Kletterwand. Statt einem vorgezeichneten Karriereweg zu folgen, begibt man sich an einer Kletterwand auf eine Zickzack-Route mit ungewissem Ausgang. Wir lassen uns gern auf solche Risiken ein, weil man an ihnen wächst. Mit jedem kleinen Sieg über sich selbst überwindet man eine Schwäche, die womöglich erst genau im Moment der Unsicherheit sichtbar wird.

Von der Karriereleiter kann man jäh stürzen. An der Kletterwand hingegen kann man relativ leicht eine neue Route einschlagen, solange man sich zunächst wieder auf festen Boden begibt – und dann von vorne beginnt. Egal, mit welchem Aufstieg man weitermacht, alles, was man bei den vorhergehenden Versuchen gelernt hat, kann helfen, die nächste Route schneller zu packen.

Zudem sind Kletterwandkarrieren ein Ausweg aus dem Hierarchiedilemma. Denn wenn Hierarchien sich verflachen, braucht es Karrierealternativen. Gibt es die nicht, dann ist es nur logisch, dass Führungskräfte den Wandel blockieren. Weil sie sich nicht abschaffen wollen. An der Kletterwand ist jemand mal Führungskraft eines Teams, mal Leiter eines Projekts, mal Verantwortlicher eines Prozesses, mal agiert er ohne Führungsaufgaben in einem Expertenteam. Dies erzeugt Rollenflexibilität, so dass ein Ausstieg aus Führungsaufgaben weder mit Blamage noch mit Demontage verbunden ist.

 

Fußnoten:

Jonathan Möller: Im Führungslabor, Liquid Leadership, GDI Impuls 3/2016