Warum sich deutsche Konzerne so schwer tun mit der digitalen Transformation

Digitale Transformation, Industrie 4.0, der digitale Wandel. Die Notwendigkeit sich auf unsere heutige digitale Zeit einzustellen und das Unternehmen darauf auszurichten, ist bekannt. Außerdem ist es seit mehreren Jahren Hauptthema von hochkarätigen Konferenzen und häufige Ursache für Kopfzerbrechen in den Meetingrunden des Top-Management-Teams.

Um innovationsfähig zu bleiben, sollte man sich digital transformieren. Doch Unternehmen im deutschsprachigen Raum tun sich schwer damit. Zunächst wurde erst abgewartet und die Digitalisierung mit Skepsis betrachtet. Jetzt kommt so langsam Hektik auf. In einer aktuellen Studie erklärten über 50 % der befragten deutschen Großkonzerne die Digitalisierung zu einem der Top 3 Themen in 2017. In aller Eiligkeit wird nun ein ‘Think Tank’ gegründet. Wohlbesetzt mit den Top-Managern aus allen Abteilungen, Ü50 mit viel Know-How und Expertise – gesammelt in den vergangenen 30 Jahren. Es wird entschieden eine App zu programmieren. Im Anschluss folgt die Diskussion des möglichen ROIs eines Snapchat-Accounts.

Digitale Lösungen sind nur die ‘Tools’ für sich veränderte Bedürfnisse

Für die digital erfahrenen, wirkt es so als ob man versucht, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Auf die Frage, wie man als Unternehmen am besten auf die Digitalisierung reagiert, wird oft eine technologische Antwort gegeben: Eine App, eine neue 360 Grad Marketingstrategie, ein abteilungsübergreifender Workshop zu den Themen AI und Machine Learning.

Doch was dabei nicht erkannt wird: Apps und Co. sind lediglich Tools. Neue Technologien und Anwendungen sind die Werkzeuge unserer Generation – und damit Mittel zum Zweck – um auf veränderte Bedürfnisse und Anforderungen zu reagieren. Wir haben keine Lust in einer Warteschleife zu hängen – gebt uns Live Chats. Wir haben kein eigenes Auto und wollen nicht 3x die Woche zum Supermarkt gehen – lasst uns online bestellen und bringt uns den Wocheneinkauf nach Hause. Wir wollen unser Geld gewinnbringend anlegen und dabei persönlich beraten werden, aber unser Portfolio auch schnell und unkompliziert online verwalten können. Die Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen haben sich verändert. Ein kultureller Wandel für den smarte Unternehmen Lösungen liefern, die häufig – aber auch nicht immer – digital sind. So geht Innovation. So bleibt man zukunftsfähig.

Ran an die Kultur. Auch wenn’s schwer fällt

Was Digitalisierung in Unternehmen am häufigsten killt, sind starre Hierarchien, politische Blockaden und Machtspielchen. Wie in dem Artikel über Führungskultur im Detail betrachtet, werden Millennials häufig von den Meetings zur Digitalisierung ausgeschlossen oder nicht gehört. In der “Welt der grauen Männer” bleibt man lieber unter sich. Aus Angst seine Position zu verlieren, Macht aufzugeben oder weniger zu wissen als ein 25 jähriger Jungspund.

Das häufig mit der digitalen Transformation verbundene organisatorische Dilemma wird an nachfolgendem Schaubild zur Digitalen Transformation gut deutlich. Angestoßen von einem “Digital Wake Up Call” setzt die Führungsebene Digitalisierung ganz oben auf die Agenda. Zu dem Zeitpunkt ist weder das Mindset noch die Unternehmenskultur digital – doch auf einmal herrscht Tatendrang. Man beginnt mit den ersten Lighthouse Projekten – beispielsweise mit der Umsetzung der App.

Ohne das digitale Mindset als Basis kann dabei allerdings einiges schief gehen. Entweder wird die App von A bis Z designt und programmiert, um dann im Anschluss zu merken, dass sie an den Usern vorbei entwickelt wurde. Oder es gelten die üblichen Entscheidungswege inklusive der Umsetzungsgeschwindigkeit eines Großkonzerns – und plötzlich wird alle Leichtigkeit aus dem Lighthouse Projekt genommen.

Um Digital Leadership ganzheitlich im Unternehmen zu verankern, ist es unumgänglich zunächst in den Aufbau eines digitalen Mindsets zu investieren.

Führungskräfte 4.0: Prüfung auf digitale Kompetenz

Für glaubhafte, digitale Führung muss den Mitarbeitern Agilität vorgelebt werden. Es reicht nicht, die Grundsätze neuer Innovationskulturen wie etwa “Done is better than Perfect” (Facebook), oder “Give employees 20 % of their time for passion projects” (Google) beim nächsten Innovationsmeeting an die Wand zu projizieren. Als Führungskraft muss man – wie im Idealfall immer – mit bestem Beispiel vorangehen, und es vormachen.

In der Realität sieht das leider oft anders aus. Führungskräfte werden weder bezüglich ihrer digitalen Kompetenz analysiert, noch aktiv darin geschult. Und dabei ist gerade das so wichtig. Denn Führung in einem digitalen Unternehmen sieht auf den ersten Blick anders aus, als man es klassischerweise aus der “Old Economy” kennt. Anstatt den Takt vorzugeben und alles unter Kontrolle zu haben, bedarf es einer neuen Führungskultur.

Bei Facebook besteht die Hauptaufgabe der Führungskräfte darin, die Experten zu managen. Das bedeutet, den spezialisierten Mitarbeitern an vorderster Front den Rücken frei zu halten, Eigenständigkeit zu fördern und sie dabei zu unterstützen ihre auf die Unternehmensstrategie ausgerichteten Ziele zu erreichen. Was auf den ersten Blick vielleicht nicht so sexy klingt, wird bei Facebook als die wichtigste Rolle im Unternehmen angesehen.

Um den Wandel hin zu einer digitalen Unternehmenskultur zu ermöglichen, müssen also zunächst die Führungskräfte offen für Neues sein und sich ein digital Mindset aneignen. Was das konkret bedeutet, wird in der 2017er Studie Driving Digital Transformation: Why Culture and Structure Matter deutlich. Folgende Merkmale zeichnen eine digitale Organisationskultur aus:

  • Extreme Kundenorientierung
  • Offenheit für digitale Disruption
  • Unternehmertum
  • Innovation
  • Risikobereitschaft und Experimentierfreude
  • Zusammenarbeit
  • Offenheit für Außenseiter
  • Transparenz

All das sind kulturelle Aspekte, die einer vorschnellen Fokussierung auf Technologie vorangestellt werden müssen. Wer versucht mit alten Herangehensweisen und überholter Denke digitale Lösungen zu entwickeln, wird vermutlich scheitern. Wie man den Mensch in den Mittelpunkt der digitalen Transformation rückt, zeigt die 1949 gegründete Otto Group mit weltweit 50.000 Mitarbeitern. In Workshops, die sich quer durch alle Hierarchien, Abteilungen, Altersgruppen und Nationalitäten erstrecken, wird ein offener Dialog darüber geführt, wie das Unternehmen in Zeiten zunehmender Konkurrenz und rasanten Entwicklungen in den Kernmärkten eCommerce, Reise und Finanzdienstleistung weiterhin erfolgreich agieren kann.

Ein neu errichteter Co-Working Space im modernen Design und mit Café-Feeling gibt den Werten der Transformation – wie Transparenz, Teilhabe und Vernetzung – einen Raum. Der von den Mitarbeitern gewählte Name “Collabor8” drückt aus, was hier geschaffen werden soll: Ein Ort der Zusammenarbeit, der Silos aufbricht und Schnittstellen schafft. Gleichzeitig wird auf den höheren Stellenwert von immateriellen Werten wie Selbstwirksamkeit, Lebensfreude, Innovation und Kreativität reagiert. Der Geschäftsführung ist bewusst, dass Arbeitgeber neben einer guten Bezahlung heute noch mehr bieten müssen, um A-Player ins Team zu bringen und dort zu halten.

Erst Kultur, dann Technologie. Erst Mensch, dann Maschine.

Um an Geschwindigkeit und Innovationskraft zu gewinnen, muss man den heutigen unternehmerischen Herausforderungen mit der Haltung und den Tools unserer Zeit begegnen. Doch wie beginnt man den Wandel hin zu einer Unternehmenskultur 4.0? An erster Stelle des Maßnahmenplans steht die Aufnahme des Status Quo: Ein Digital Skill Check für Führungskräfte zeigt, wo man als Organisation in puncto digitaler Führung steht. Im Anschluss sollten individuelle Learning Journeys für die Entwicklung der Führungskräfte definiert werden.

So legt man als Unternehmen nicht nur den Grundstein für eine Innovationskultur,  sondern schafft gleichzeitig auch die Basis für ein digitales Mindset. Denn als erstes muss den Führungskräften und Mitarbeitern gleichermaßen die Angst vor Neuem genommen werden und durch Glaubenssätze unserer digitalen Zeit ersetzt werden: “Du kannst jede Fähigkeit in jedem Bereich zu jeder Zeit lernen”, “Jeder kann Dir etwas beibringen. Lerne von wem Du kannst” und “Es ist unwichtig, wer Du heute bist. Was zählt ist, wer Du sein willst und wie hart Du bereit bist daran zu arbeiten.”